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Fachwörterbuch Trockenbau: benutzen nicht vergessen
Der bekannte Ausdruck “Hinrichten nicht begnadigen” aus einer alten Geschichte über den Zaren, der wohl diesen Satz auf dem Gnadengesuch geschrieben und das Komma zu setzen vergessen hat, ist sehr lehrreich. Er zeigt einerseits, wie ein Komma das Leben retten kann. Andererseits zwigt er zum Nachdenken und kann in jedem Fall benutzt werden, wenn man mit einem Dilemma konfrontiert ist.
Fachwörterbücher beschäftigen sich mit der Domänensprache, die oft nur einem begrenzten Teil der Spezialisten dient. Kann das für alle interessant sein ? Oder ist das von Bedeutung für die Erforschung der Sprache? Soll man das Komma wie folgt setzen: benutzen nicht, vergessen ?
In der letzten Zeit sind in der Ukraine und in Russland einige zwei– und dreisprachigen Fachwörterbücher auf dem Gebiet Bauwesen erschienen, was die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Arbeit in dieser Richtung zeigt. Denn die heutige Welt ist duch eine fortlaufend stärkere Spezialisierung menschlicher Kenntnisse und Tätigkeiten geprägt, die ständig neue Bedingungen der fachlichen Verständigung mit sich bringt. Der Sprachgebrauch auf dem Gebiet Wissenschaft oder Technik ist schon immer Gegenstand von zum Teil heftiger Sprachkritik gewesen: nicht nur Laien, sondern auch Fachleute sehen sich immer wieder mit fachsprachlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert, die aus einer zu geringen Kenntnis oder einer mangelnden Beherrschung fachsprachlicher Erscheinungen erwachsen. Solche Unzulänglichkeiten erschweren insbesondere die fachliche Verständigung auf der internationalen Ebene. Das neue deutsch-ukrainisch-russisches Fachwörterbuch Trockenbau, das vom Lehrstuhl “Warenkunde und Kommerztätigkeit im Bauwesen” der Bauuniversität Kyiv 2010 herausgegeben wurde, schließt eine Lücke, die sich aus dem regen Geschäftsverkehr mit Deutschland, aus Warenströmen sowie aus direkten ausländischen Investitionen in die ukrainische Baubranche gebildet hat.
Trockenbau ist ein etwas neuer Begriff für die ukrainischen Bauleute. Diese für den Westen üblichen Bauweise ist zu uns durch die Investitionstätigkeit der deutschen Firma Knauf gelangt. Firma Knauf hat den Markt für Trockenbausysteme in der Ukraine durch zielgerichtete Arbeit mit den Bauleuten, durch die Vorführungen des Einsatzes der modernen Baustoffe sowie durch die Ausbildung in eigenen Schulungszentren, Berufschulen und an den Bauuniversitäten erschlossen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die modernen Gipskartonplatten und Trockengemische mit dem Logo KNAUF assoziiert und als Knauf – Platten oder Knauf – Putze genannt werden. So sind in das Ukrainische solche Begriffe gekommen, wie “HP Start” (Haftputz Start), “Fugenfüller” (Spachtelmasse für die Füllung der Fugen zwischen den Gipskartonplatten), “Rotband” (Edelhaftputz) u.ä. Diese Begriffe werden ins Ukrainische nicht übersetzt, sondern als Bezeichnung des Produktes in der Originalsprache erhaltengeblieben.
Zu dem Begriff “Gipskartonplatte”: den gibt es in der deutschen Fachsprache nicht mehr – veraltet ! So produziert Knauf heute z.B. mehr als 20 Arten Platten, die durch verschiedene Additive, Bindemittel und Armierungsstoffe funktional ganz verschieden sind. So z.B. “Fireboard” besteht zwar aus dem Gipskern, wird aber nicht vom Karton, sondern vom Glasfaservlies ummantelt. Die Platte “Aquapanel” ist auch mit Glasfaservlies ummantelt, besteht aber aus Zementkern. Somit ist die alte Bezeichnung “Gipskartonplatte” in der neuen harmonisierten europäischen Norm EN 520 durch den Begriff “Bauplatte” ersetzt.
Dazu kommt, dass die alte Klassifizierung der Gipskartonplatten in gewöhnliche, wasserabweisende und feuerbestendige in den neuen Normen durch die für den Laien nichtssagenden Buchstaben von A bis R ersetzt wurden (Platten Typ A – gewöhliche, Platten Typ H - wasserabweisende usw.). Deshalb mussten diese Bezeichnungen im Fachwörterbuch Trockenbau nicht nur wörtlich übersetzt, sondern auch kommentiert werden. Somit wurde das Fachwörterbuch an vielen Stellen, wo im Ukrainischen keine equivalente Bezeichnung existiert, zum Baulexikon mit ausführlicher Erklärung der Bedeutung des deutschen Begriffs:
Trockenbau, m = ñóõå áóä³âíèöòâî (ìîíòàæ ïëèòíèõ áóä³âåëüíèõ ìàòåð³àë³â äëÿ âíóòð³øíüîãî îçäîáëåííÿ ïðèì³ùåíü, ñò³í, ñòåëü, äëÿ çâåäåííÿ íåíåñó÷èõ îãîðîäæóþ÷èõ êîíñòðóêö³é òà âëàøòóâàííÿ ñóõèõ îñíîâ ï³äëîãè ç âèêëþ÷åííÿì ìîêðèõ ïðîöåñ³â.
Solche Erklärung ist auch deshalb ganz sinnvoll, weil manche Begriffe, wie das ganz üblich ist, im Deutschen und im Ukrainischen (Russischen) einen ganz verschiedenen Bedeutungsumfang haben. So z.B., ist der Begriff «ñóõà øòóêàòóðêà» im Ukrainischen wie früher ein Sammelbegriff für alle Gipskartonplatten. Im Deutschen versteht man damit nur die Montagemethode, wenn man die Bauplatten auf die Wand mit Hilfe des Gipsklebstoffes anbringt und nicht auf die Holz- oder Metallunterkonstruktion mit Hilfe der Schrauben befestigt.
Somit kann man schlussfolgern, dass die ukrainische Sprache durch den regen Geschäftsverkehr und die Tätigkeit der deutschen Firmen in der Ukraine viele deutsche Wörter, vor allem Fachbegrifte übernommen hat, die einfach ins Ukrainische transliteriert werden; dass sich der Wortschatz mehrerer Fachgebiete zur Zeit durch die Vereinigung Europas und durch die Entstehung der neuen europäischen harmonisierten Normen dynamisch verändert; dass durch das know how der deutschen Firmen, die sehr viel Mittel in die Forschung und Wissenschaft investieren, ganz neue fach– und logogebundene Begriffe entstehen; dass die alten Termini im Ukrainischen am Bedeutungumfang sehr oft verlieren, weil die deutschen Equivalente im dynamischen Wandel sind.
Das Wörtebuch umfasst etwa 5.000 Fachbegriffe und Wortverbindungen vor allem aus dem Bauwesen, sowie aus den an den Trockenbau grenzenden Bereichen, wie Architektur, Design, Geologie, Bauphysik, Bauchemie, Gebäudeinstallation u.a. Dieses Fachwörterbuch ist aus der mehr als zehnjärigen Erfahrung der Arbeit auf dem Gebiet Bauwesen entstanden. Die Wörter wurden aus den mehreren Fach– und Lehrbücher entnommen, die im Literaturverzeichnis angegeben werden. Die Autoren, die am Lehrstuhl ”Warenkunde und Kommerztätigkeit im Bauwesen” der technologischen Fakultät der Bauuniversität Kiew tätig sind, drücken herzlichen Dank den Mitarbeitern der Firma Knauf sowie des Übersetzungsbüros “Intercomservice” für ihre freundliche Unterstützung aus.
Die Wörterbuchlandschaft zählt heute mehr als 1200 einsprachige Fachwörterbucher, die oft wirklich ganz expertensprachlich ausgerichtet sind. Das Fachwörterbuch Trockenbau könnte jedoch nicht nur für Bauleute, Ingenieure und Architekten, sondern auch für die Laien interessant sein, weil jeder einmal oder mehrere Male im Leben baut, umbaut oder renoviert. Besonders interessant könnte das Fachwörterbuch für die freunde der deutschen Sprache sein, die oft nur staunen, wenn sie alle Worte verstehen, aber keinen Sinn dahinter finden können. Deshalb lassen wir den in der Titel des Artikels angeführten Ausdruck “Benutzen nicht vergessen” ohne das Komma.
Der Artikel wurde veröffentlicht: Gawrysch O., Gawrysch M. Fachwörterbuch Trockenbau – benutzen nicht vergessen // Germanistik in der Ukraine. Band 5, 2010. – S. 131 – 134.
Deutsch-ukrainisch-russisches Fachwörterbuch Trockenbau
Letzte Zeit sind in der Ukraine und in Russland einige zwei- und dreisprachigen Fachwörterbücher auf dem Gebiet Bauwesen erschienen, was die Wichtigkeit und die Notwendigkeit der Arbeit in dieser Richtung beweist. Denn die heutige Welt ist durch eine fortlaufend stärkere Spezialisierung menschlicher Kenntnisse und Tätigkeiten geprägt, die ständig neue Bedingungen der fachlichen Verständigung mit sich bringt. Der Sprachgebrauch auf dem Gebiet Wissenschaft oder Technik ist schon immer Gegenstand von zum Teil heftiger Sprachkritik gewesen: nicht nur Laien, sondern auch Fachleute sehen sich immer wieder mit fachsprachlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert, die aus einer zu geringen Kenntnis oder einer mangelnden Beherrschung fachsprachlicher Erscheinungen erwachsen. Solche Unzulänglichkeiten erschweren insbesondere die fachliche Verständigung auf der internationalen Ebene. Das neue deutsch-ukrainisch-russische Fachwörterbuch Trockenbau, das vom Lehrstuhl „Warenkunde und Kommerztätigkeit im Bauwesen“ der Bauuniversität Kiew 2010 herausgegeben wurde, schließt eine Lücke, die sich aus dem regen Geschäftsverkehr mit Deutschland, aus Warenströmen sowie aus direkten ausländischen Investitionen in die ukrainische Baubranche gebildet hat.
Trockenbau ist ein etwas neuer Begriff für die ukrainischen Bauleute. Diese für den Westen übliche Bauweise ist in die Ukraine durch die Investitionstätigkeit der deutschen Firma Knauf gelangt. Sehr erfolgreich auf den internationalen Märkten und besonders in den ehemaligen GUS-Ländern ist die Firma Knauf durch die ausgewogene und kundenorientierte Marktpolitik, die Mitte 70-er Jahre durch die Gründer der Firma ausgearbeitet wurde. Die deutsche Firma Knauf hat den Markt für Trockenbausysteme in der Ukraine durch zielgerichtete Arbeit mit den Bauleuten, durch die Vorführungen des Einsatzes der modernen Baustoffe sowie durch die Ausbildung in eigenen Schulungszentren, in den Berufsschulen und an den Bauuniversitäten erschlossen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die modernen Gipsbauplatten und Trockengemische mit dem Logo KNAUF assoziiert und als Knauf-Platten oder Knauf-Putze genannt werden. So sind in das Ukrainische solche Begriffe gekommen, wie „HP Start“ (Haftputz Start), „Fugenfüller“, „Rotband“ (Edelhaftputz) u.ä. Diese Begriffe werden nicht übersetzt, sondern als Bezeichnung des Produktes in der Originalsprache erhalten geblieben.
Nicht nur Logogebundene, sondern auch Grundbegriffe wie „Trockenbau“ oder „Gipskartonplatte“ mussten im Fachwörterbuch Trockenbau übersetzt und definiert werden. Das war sinnvoll und notwendig, denn auch in Deutschland war der Umfang der Arbeiten, die zu dem Trockenbau gehören, bis zu letzter Zeit nicht genau definiert. Erst 2005 erschien der Ergänzungsband zur VOB 2002 (die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) – ATV DIN 18340 „Trockenbauarbeiten“. Hier wurde der Leistungsbereich „Trockenbauarbeiten“ erstmals umfassend aufgenommen und beschrieben: Deckenbekleidungen und Unterdecken (abgehängte Decken), Montagewende, trocken gelegte Trennwände, Dachausbauten, Trockenunterböden, Systemböden (Doppelböden, Hohlraumböden), Verkleidung der Wände als Trockenputz oder Vorsatzschale, Verkofferungen (z.B. von Rohren, Balken, Lüftungskanälen etc.), Ausschnitte (in Decken, Wänden, Vorsatzschalen und Böden), Einbauten (in Montegewänden,Wand- und Deckenbekleidungen).
Im „Deutsch-ukrainisch-russischen Fachwörterbuch Trockenbau“ musste deshalb der Begriff „Trockenbau“, wie auch mehrere andere fachgebundene Begriffe, genau definiert werden. So z.B. wird der Begriff „Gipskartonplatte“ in der deutschen Fachsprache immer seltener verwendet. Erstens, wurde diese Bezeichnung in der neuen harmonisierten europäischen Norm EN 520 durch den Begriff „Bauplatte“ ersetzt. Zweitens, produziert Knauf heute mehr als 20 Arten Platten, die durch verschiedene Additive, Bindemittel und Armierungsstoffe funktional ganz verschieden sind. So z.B. „Fireboard“ besteht zwar aus dem Gipskern, wird aber nicht vom Karton, sondern vom Glasfaservlies ummantelt. Dazu kommt, dass die alte Klassifizierung der Gipskartonplatten in gewöhnliche, wasserabweisende und feuerbeständige in den neuen Normen durch die für den Laien nichtssagenden Buchstaben von A bis R ersetzt wurden (Platten Typ A - gewöhnliche, Platten Typ H – wasserabweisende usw.). Deshalb mussten diese Bezeichnungen im Fachwörterbuch Trockenbau nicht nur wörtlich übersetzt, sondern auch kommentiert werden. Somit wurde das Fachwörterbuch an vielen Stellen, wo im Ukrainischen keine äquivalente Bezeichnung existiert, zum Baulexikon mit ausführlicher Erklärung der Bedeutung des deutschen Begriffs.
Solche Erklärung ist auch deshalb sinnvoll, weil manche Begriffe im Deutschen und im Ukrainischen (Russischen) einen ganz verschiedenen Bedeutungsumfang haben. So z.B., ist der Begriff „Trockenputz“ im Ukrainischen wie früher ein Sammelbegriff für alle Gipskartonplatten. Im Deutschen versteht man damit nur die Montagemethode, wenn man die Bauplatten an die Wand mit Hilfe des Gipsklebstoffes anbringt und nicht auf die Holz- oder Metallunterkonstruktion mit Hilfe von Schrauben befestigt.
Die Wörterbuchlandschaft zählt heute Tausende einsprachige und mehrsprachige Fachwörterbücher, die oft wirklich ganz expertensprachlich ausgerichtet sind. Das Fachwörterbuch Trockenbau könnte jedoch nicht nur für Bauleute, Ingenieure und Architekten, sondern auch für die Laien interessant sein, weil jeder einmal oder mehrere Male im Leben baut, umbaut oder renoviert. Besonders interessant könnte das Fachwörterbuch für die Freunde der deutschen Sprache sein, die oft nur staunen, wenn sie alle Worte verstehen, aber keinen Sinn dahinter finden können. Deshalb empfehlen wir solchen Leuten das Fachwörterbuch Trockenbau mal wie ein Lexikon durchzulesen.
Veröffentlicht in: Gawrisch A. Deutsch-ukrainisch-russisches Fachwörterbuch Trockenbau. Tagungsbericht der 1. Weimarer Gipstagung (30. - 31.März 2011). F.A. Finger – Institut für Baustoffkunde. Weimar, 2011. – S. 417 – 422.
Zum Begriff „Nachhaltigkeit“ in der Fachsprache Bauwesen
Die Sprache in ihrer Funktion als gesellschaftliches Kommunikationsmittel ist ständiger Veränderung unterworfen, da sich die Bedingungen der Kommunikation im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung ändern. Die Kommunikationsbedingungen, d.h. alle Faktoren, die einen bestimmten Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Lebenspraxis charakterisieren, werden unter dem Begriff kommunikative Situation Zusammengefasst. Besonders in der funktionalen Stilistik werden die Verwendungsweisen der Sprache in verschiedenen kommunikativen Situationen gründlich untersucht. Dabei geht es um die Klärung der Rolle der Sprache im Prozess menschlicher Tätigkeit, d.h. wie und welche sprachliche Mittel eingesetzt werden. Es wird nach dem Einfluss der ökonomischen, politischen, geografischen, sozialen und anderen Faktoren auf die sprachlichen Entwicklungsprozesse gefragt.
Somit bleibt die funktionale Analyse der Bedeutung eine der wichtigsten Methoden sowohl in der Synchronie als auch und besonders in der Diachronie. Dabei ist die Bedeutung als eine Relation aufgefasst, die aus zwei Größen – „Name“ und „Sinn“ besteht. An dieser Stelle sei die Bedeutungsvielfalt erwähnt, die aus der nicht obligatorischen Entsprechung zwischen einem Namen und nur einem Sinn resultiert. Die Unterscheidung zwischen dem, was ein Wort in einer Sprache bedeutet, und dem, was ein Sprecher in einer kommunikativen Situation, die durch mehrere außersprachlichen Faktoren determiniert ist, unter einem Wort versteht (Sinn des Wortes), ist für unsere weitere empirische Darstellung des Bedeutungsumfangs von dem Fachbegriff „nachhaltiges Bauen“ sehr wichtig.
Nachhaltige Entwicklung (eng. sustainable development, russ. óñòîé÷èâîå ðàçâèòèå, ukr. ñòàëèé ðîçâèòîê) ist ein Begriff, der in der letzten Zeit an Popularität gewonnen hat und durch seine häufige Verwendung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen wurde.
Die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung wurden 1992 von der UNO-Konferenz in Rio de Janeiro formuliert: das ist die Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Nachhaltige Entwicklung, die keine Alternative hat, weil der andere Weg zu einer weltweiten ökologischen Katastrophe führen würde, wurde von Vereinten Nationen als Leitprinzip des 21.Jahrhunderts bestimmt.
Diese übliche Übersetzung des englischen Begriffs „sustainable development“ fand Eingang in internationale Fachkreise. Dennoch gibt es dafür bis jetzt in der deutschen Sprache über 70 Übersetzungsvarianten, wie z.B. zukunftsfähige, zukunftsbeständige, zukunftsverträgliche, dauerhafte, durchhaltbare, aufrechthaltbare Entwicklung u.ä. Dem Bedeutungsumfang nach steht Nachhaltigkeit im Gegensatz zur Verschwendung und kurzfristigen Plünderung von Ressourcen und bezeichnet einen schonenden, verantwortungsvollen Umgang mit diesen, der auch für zukünftige Entwicklungen und Generationen gilt.
Die Häufigkeit der Verwendung des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ ist wohl mit den wachsenden Aktivitäten verschiedener Länder auf diesem Gebiet verbunden. So haben zum Beispiel einzelne Staaten die nachhaltige Entwicklung als Staatsziel in ihre Verfassungen aufgenommen (die Schweiz, Bhutan, Ecuador und Bolivien). In Deutschland gibt es inzwischen mehrere Zentren der Nachhaltigkeitsdiskussion, z.B. das Wuppertal – Institut, das Forum Umwelt und Entwicklung in Bonn, das Projekt der katholischen Universität Eichstätt – Ingolstadt, Forschungsstelle für das Recht der nachhaltigen Entwicklung an der Universität Bayreuth, Dialog zur Nachhaltigkeit 2010/11 der Bundesregierung und andere Initiativen.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist im hier geschilderten Sinne ursprünglich in der Forstwirtschaft nachweisbar. Die Bedeutung der Begriffe nachhaltig und Nachhaltigkeit als „dauerhaft aufrechthaltbar“ mag zwar dem etymologisch ursprünglichen Wortsinn entsprechen, deckt sich jedoch nicht mit der seit langer Zeit in der Umgangssprache geläufigen Bedeutung der Begriffå nachhaltig: „sich auf längere Zeit stark auswirkend“ und die Nachhaltigkeit: „längere Zeit anhaltende Wirkung“.
Unabhängig davon treffen wir jedoch hier auf den bewussten Versuch der Etablierung einer für die überwiegende Mehrheit der Sprecher neuen Bedeutung für einen geläufigen Begriff. Durch die Häufigkeit der Verwendung des Begriffs insbesondere in den Medien existieren heute im Sprecherbewusstsein beide Bedeutungen parallel. Aufgrund dieser Popularität hat die Aussagekraft des Begriffes stark abgenommen und es kommt häufig zu einem Verwaschen und zu einer Vermengung der beiden Bedeutungen. Der Begriff wird daher heute häufig ohne ein tatsächliches Verständnis seiner Hintergründe benutzt.
So beschwert sich z.B. der niederländische Star-Architekt Rem Koolhaas in dem Interview für das Magazin Spiegel über die Tendenz zur Nachhaltigkeit in der Architektur, die nach seiner Meinung heutzutage „zu einer hohlen Formel“ geworden ist. Diese Tendenz „ist die mittlerweile universelle Forderung, alles müsse nun nachhaltig sein. Uns hat diese Idee seit den sechziger Jahren interessiert, insofern fühlen wir uns bestätigt. Doch inzwischen ist Nachhaltigkeit eine so politische Kategorie, dass es immer schwieriger wird, wirklich ernsthaft darüber nachzudenken. Die Nachhaltigkeit ist zu einem Ornament geworden. Immer häufiger gewinnen Entwürfe in Wettbewerben, weil sie buchstäblich grün sind und sich irgendwo an ihnen eine kleine Windmühle dreht“.
Was bedeutet also Nachhaltigkeit im Bauwesen? Die Ziele des nachhaltigen Bauens liegen in erster Linie in der Minimisierung des Verbrauchs von Energie und Ressourcen einerseits und in der Reduzierung des negativen Einflusses auf die Ökologie – andererseits. Berücksichtigt werden alle Lebenszyklusphasen eines Gebäudes. Dabei wird die Optimierung sämtlicher Einflussfaktoren auf den Lebenszyklus angestrebt: von der Rohstoffgewinnung über die Errichtung eines Gebäudes bis zu seinem Rückbau. Als durchschnittliche Nutzungszeit eines Hauses werden ca. 50 -100 Jahre angenommen.
Folgende Faktoren sind beim nachhaltigen Bauen zu berücksichtigen: Senkung der Energiebedarfs durch effektive Wärmedämmung; Senkung des Verbrauchs von Betriebsmittel Einsatz wieder verwertbaren Baustoffe und Bauteile; Vermeidung von Transportkosten (der eingesetzten Baustoffe und Bauteile); Gefahrlose Rückführung der verwendeten Materialien in den natürlichen Stoffkreislauf; Nachnutzungsmöglichkeiten von Gebäuden; Einsatz von Baustoffen mit niedrigem Primär-Energie-Bedarf; Einsatz alternativer Energiequellen.
Objektbezogene Ökobilanzen im Baubereich werden auch als Lebenszyklusanalysen von Gebäuden bezeichnet (engl. LCA – Life Cycle Assessment). Die Ökobilanz liefert eine systematische und standardisierte Datengrundlage, um aus Deklarationen einzelner Bauprodukte die ökologische Bewertung eines Bauwerks zu erstellen. In einer Lebenszyklusanalyse wird die ganze Lebensdauer des Gebäudes: die Bauphase, die Nutzungsphase mit möglichen Umnutzungen sowie Abriss und Entsorgung berücksichtigt, und es kann der Beitrag der Bauprodukte zur Energieeffizienz oder zu weiteren Aspekten nachhaltiger Bewirtschaftung eines Gebäudes dargestellt werden. Die Umweltproduktdeklarationen (EPD) einzelner Bauprodukte sind daher ein wichtiger Baustein in der Aufstellung von Ökobilanzen. Hintergrund für Ökobilanzierung ist die Schonung bzw. die effiziente Nutzung materieller Ressourcen, die Verringerung der Umweltbelastung durch Emissionen und die Minimierung von Abfällen. Produktbezogene Ökobilanzen sollten solche Aspekte berücksichtigen, wie die Entnahme und Vorhaltung der Rohstoffe, ihre Herstellung und Verarbeitung, Transport und Verteilung, Pflege und Wiedeverwendung sowie Abfallverwertung.
Wie wir sehen, ist der Begriff nachhaltiges Bauen sehr komplex. Sein Bedeutungsumfang betrifft alles, was mit oben geschilderten Faktoren zusammenhängt. Immer häufiger entstehen weitere Begriffe, um Neuentwicklungen auf dem Gebiet Nachhaltigkeit zu bezeichnen (z.B. 2000-Watt-Gesellschaft, Null-Energie-Haus, Plus- Energie-Haus, 3-Liter-Haus etc.), die oft nur sehr schwer in fremde Sprachen übersetzt werden können.
In der seit Jahrzehnten intensiv fortlaufenden Diskussionen, vor allem in Politik und Wirtschaft, hat der Begriff nachhaltige Entwicklung eine Vielzahl an Bedeutungen erlangt. Für das Bauwesen wird dieses Thema sowohl im Rahmen der EU (Integrierte Produkt -Politik), als auch in Deutschland (DIN – Normenreihen „Umweltleistung von Gebäuden“ und „Hygiene, Umwelt und Gesundheit“) aufgegriffen. Bei der Bewertung der Nachhaltigkeit bieten die Umweltproduktdeklarationen die Informationsgrundlage für Baustoffe und Bauprodukte und werden für Ökobilanzierung von Gebäuden verwendet. Diese Hintergründe zeigen, wie sich das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in der Fachsprache Bauwesen niederschlägt.
Der Artikel wurde veröffentlicht: Gawrysch O. Zum Begriff "Nachhaltigkeit" in der Fachsprache Bauweswen //Germanistik in der Ukraine. Band 6, 2011. – S. 216 – 220.
Georg Dehio - spiritus rektor der modernen Denkmalpflege
Voriges Jahr jährte sich zum 160. Mal der Geburtstag von Georg Dehio (1850-1932). Der „Dehio“ (Das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler) ist wohl in dem ganzen deutschsprachigen Raum bekannt und bei allen, die sich für Bau- und Architekturgeschichte Deutschlands interessieren, sehr beliebt. Der Autor, der zu seinen Lebzeiten (1905-1912) 5 Bände dieses Werkes herausgegeben hat, bleibt als Mensch und als Wissenschaftler im Schatten. Warum bleibt Dehios, der zu seinen Lebzeiten angesehene und prominente Gelehrte, bis heute weitgehend unbekannt?
Zu den Schriftstücken Dehios, die der allgemeinen und der Kunstgeschichte gewidmet wurden, gehören vor allem drei große Werke: „Kirchliche Baukunst des Abendlandes“ (zusammen mit Gustav von Bezold), „Handbuch der Deutschen Denkmäler“ und die „Geschichte der deutschen Kunst“. In Mittelpunkt seiner Forschungen standen die Beschreibung und die Begründung der kunsthistorischen Entwicklung von Motiv und Stil.
Kurz vor seinem Tode gab Dehio seine dreibändige „Geschichte der deutschen Kunst“ heraus. In diesem Werk kamen ganz deutlich die oben genanten methodischen Ansätze Dehios zum Ausdruck: die allgemeine Geschichte Deutschlands aus der Erforschung der kunsthistorischen Quellen neu zu interpretieren. In seinem Werk kritisierte er die damals üblichen kunstimmanenten Deutungen der Kunstentwicklung und verteidigte die Position, dass der komplexe Wandel der deutschen Kunstgeschichte nur auf der Basis der historischen Ursachen erklärbar sei. Selbstverständlich provozierte dieses Herangehen an die Geschichtsschreibung den Widerspruch von Kollegen und markierte Dehio als Vertreter der konservativen akademischen Elite des Kaiserreiches. Deshalb ist die kritische Revision seines Werkes notwendig.
Neben dem Vorbehalt gegen Dehios Überzeugung, in der Geschichte der Kunst das Wesen des deutschen Volkes zu entdecken, richtete sich die Kritik auch gegen die unverkennbare ideologische Nähe des Werkes zur Politik des Kaiserreiches (z.B. gegen die kurzzeitige Euphorie für die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1914). Diskussionsbedürftig ist außerdem die Dehios Einschätzung der Entwicklung der deutschen Kunst nach den Hochphasen im 13. Jahrhundert und in der Dürerzeit bis in seine Gegenwart, in der er keine nennenswerten Leistungen zu entdecken vermochte, als Verfallperiode.
Zeitgemäß wurde das Schaffen Dehios, wie es viele Kritiker behaupten, nationalistisch geprägt. Es ist auch nicht verwunderlich, weil ein Jahr nach dem Tode Dehios die Nationalsozialisten in Deutschland ganz legal an die Macht kamen. In mehreren Bereichen der menschlichen Tätigkeit, besonders aber in der Kunst, spielt der Zeitgeist eine besondere Rolle. Darunter verstehen wir vor allem geistige Prozesse, die die Menschen bewegen. Zu damaliger Zeit war die nationale Idee, d.h. die Idee der nationalen Identität, ein heißes Thema sowohl in Deutschland als auch in anderen Staaten Europas. Dehio versuchte die historisch-kritische Methode anzuwenden, um neue Erkenntnisse auf diesem Gebiet für die allgemeine und besonders für die Kunstgeschichte zu bekommen. Ob es ihm gelungen ist? Nicht ganz, weil mehrere Schlussfolgerungen nach der eindeutigen Meinung vieler Kritiker, die oben angeführt wurden, strittig sind. Vermindert diese, in Prinzip fachinterne, Methodendiskussion die Gesamtleistung des Werkes Dehios? Auf keinen Fall. „Nichts ist in meinen Augen schimpflicher, als der Versuch, Männer, deren Lebenswerk aus der Entstehungsgeschichte unseres Faches nicht hinwegzudenken ist, einseitig nach ihren Schwächen zu beleuchten…“ – schrieb darüber Erich Hubala.
Aus der heutigen Sicht kann das Werk Dehios für alle, die sich mit Kunstgeschichte beschäftigen, sehr interessant sein bezüglich seiner wissenschaftlichen Position in der fachinternen Methodendiskussion – seine Missbilligung der rein kunstimmanten ästhetischen und psychologischen Forschungsansätze und die Anwendung kritisch-historischer Methode.
Als Denkmalpflege bezeichnet man die geistigen, technischen, handwerklichen und künstlerischen Maßnahmen, die zur Er- und Unterhaltung von Kulturdenkmälern erforderlich sind. Solche Maßnahmen sind z.B.: Instandhaltung (normale Pflegearbeiten, Säuberung u.ä.); Konservierung (Stoppen der Alterung durch die Ertüchtigung des Baumaterials oder durch Entlastung mittels Schutzbauten gegen die Witterung); Reparatur (Erneuerung beschädigter Teile des Denkmals); Restaurierung (umfangreiche Erneuerung, die über die Reparaturen hinausgeht); Renovierung (Wiederherstellung in der Funktionalität); Rekonstruktion (Wiederherstellen eines verlorengegangenen Erscheinungsbildes von Bauteilen oder ganzen Bauten).
Man kann die oben genannten Maßnahmen ganz eindeutig in 2 Gruppen klassifizieren: erste – die Maßnahmen, die keine Eingriffe in die Materie des Werkes zulassen (Instandhaltung, Konservierung), und zweite – Umwandlung des Werkes (von der harmlosen Reparatur der Bauteile bis zur vollen Erneuerung – Restaurierung, Renovierung, Rekonstruktion usw.).
In der Fachliteratur werden vor allem 2 Begriffe in der Denkmalpflege – Konservieren und Restaurieren – mehr oder weniger eindeutig definiert und einander gegenübergestellt. Die anderen Begriffe werden nur vorsichtig gebraucht. Unter „Konservieren“ versteht man also die Maßnahmen, die den Verfall des Werkes stoppen; im Gegensatz zum „Restauriere“, das alle Tätigkeiten beschreibt, um Dinge unter Wahrung der Substanz für eine weitere Benutzung zu erhalten.
In den Anfängen der Restaurierung verstand man darunter die Wiederherstellung eines Bauwerkes oder eines Kunstwerkes in einen früheren, als ursprünglich betrachteten Zustand. Die Vorstellung dieses Zustandes orientierte sich teilweise am materiellen Zustand, teilweise aber auch an einer dem Objekt zugeschriebenen Bedeutung, die in einer neuen Gestaltung vermittelt werden sollte (Neugestaltung des Speyer Doms in der zweiten Hälfte des 19. Jh.). Diese bis ins frühe 20. Jh. hinein geltende Vorstellung der Restaurierung führte letztlich zu den Ausbauten etwa des Kölner Doms, oder des Ulmer Münsters.
Der Begriff wurde um 1830 durch den „Vater der Restaurierung“ Eugene Violett-le-Duc geprägt. Nach diesem war Restaurierung ein Vorgang der Herstellung eines ursprünglich gedachten, vollkommenen Zustands, der möglicherweise so nie existiert hatte.
Dieser Auffassung widersprach in den 1840er Jahren der englische Gelehrte John Ruskin. Er sah in der Restaurierung eine Verfälschung des vorgefundenen Zustands und damit des Denkmalwerts eines Gebäudes. Dennoch setzte sich in der Denkmalpflege die Auffassung vom Kunstwerk als historische Quelle nur langsam durch. In Deutschland war es Georg Dehio, der die Auffassung Ruskins teilte und bereits 1900 forderte, restaurieren durch das Konservieren zu ersetzen.
Anlass dazu war öffentliche Diskussion über bauliche Veränderungen des Heidelberger Schlosses. In seiner Schrift „Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden“ schilderte Dehio die Situation um die geplanter Restaurierung des Heidelberger Schlosses und kritisierte scharf die Gruppe der Architekten mit Herrn Schäfer an der Spitze, die für enorme Neugestaltung des Werkes plädierten. Schon im ersten Absatz nannte er die ästhetische „Verbesserung“ des Schlosses mit dem französischen Begriff „vandalisme restaurateur“. Im Weiteren formulierte er einige Grundsätze der Denkmalpflege, die auch für Gegenwart wichtig sind: „Als im „historisch“ gesinnten 19. Jahrhundert ein Pietätsverhältnis zu den Resten der Vergangenheit erwachte, glaubte man, diesen etwas Gutes zu erweisen, wenn man sie auf diejenige Gestalt zurückführte, die man sich als die ursprüngliche dachte. Aber der feinere historische Sinn konnte dabei keine Befriedigung finden: es hieß, den historischen Verlauf rückwärts korrigieren, und zwar auf fast immer unsichere Basis. Nach langen Erfahrungen und schweren Missgriffen ist die Denkmalpflege nun dem Grundsatze gelangt, welchen sie nie mehr verlassen kann: erhalten und nur erhalten! ergänzen erst dann, wenn die Erhaltung materiell unmöglich geworden ist: Untergegangenes wiederherstellen nur unter ganz bestimmten, beschränkten Bedingungen“.
1988 erschien im Friedrich Vieweg Verlag (Braunschweig) ein Buch unter dem Titel „Konservieren nicht Restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900“, in dem die Schriften von G. Dehio und A. Riegl, dem anderen zeitgenössischen Kunsthistoriker und Gegner des „vandalisme restaurateur“, publiziert wurden. Der Titel (im Originaltext gibt es kein Komma) erinnert an eine alte russische Geschichte, die wohl dem Zaren Alexander III. zugeschrieben wird. Auf dem Gnadengesuch eines zum Tode Verurteilten sollte der Zar geschrieben haben: „Hinrichten nicht begnadigen“. Entweder vergieß er, ein Komma zu setzen, oder hat das Komma seine Frau versetzt, aber der Verurteilte wurde nicht hingerichtet.
Genau so, wie in dieser alten russischen Geschichte, hängt das Leben oder der Tod eines historischen Kunstwerkes davon ab, wie die Gesellschaft die Akzente setzt. Dehio hat eindeutig Stellung genommen, und so erscheint heute in den meisten Quellen der berühmt gewordenen Forderung mit dem Komma an der richtigen Stelle: „Konservieren, nicht Restaurieren“. Er konnte nicht beiseite stehen: Die Bau- und Kunstdenkmalpflege basieren doch auf Kunstgeschichte.
Die Diskussion über Heidelberger Schloss war so intensiv, weil es in Deutschland kaum Denkmalschutz (d.h. Gesetzgebung über kulturhistorische Denkmäler) existierte. Bereits im frühen 19. Jh. forderte der berühmte Architekt Karl Friedrich Schinkel die Schaffung einer Schutzbehörde für die Denkmäler. 1843 gab es in Preußen den ersten Kurator, den man Denkmalpfleger nannte. Das erste moderne deutsche Denkmalschutz und -Pflegegesetz wurde 1902 im Großherzogtum Hessen erlassen.
Viele Politiker, Architekten, Künstler und Denkmalpfleger nahmen an dieser Diskussion teil. Mit seiner Flugschrift „Was wird aus dem Heidelberger Schloss werden?“ von 1901 betrat Dehio ein hoch politisches und sensibles Terrain und konnte in der Grundsatzdebatte über moderne deutsche Denkmalpflege seinen ersten großen Sieg erringen und einen denkmalpflegerischen Kanon aufstellen, dessen Gültigkeit seither nie wieder grundsätzlich in Frage gestellt ist. Ziel der Konservierung ist es, den angetroffenen Bestand zu sichern und ggf. zu erschließen. Die Bedeutung des Objekts wird nicht mehr nur an der ästhetischen Komponente gemessen, vielmehr wird versucht, das Objekt für möglichst viele Ansätze der Bedeutungszuweisung offen zu halten. Diese Auffassung wurde in der Charta von Venedig niedergelegt.
Dem Zeitgeist ist es zu verdanken, dass der 1900 in Dresden abgehaltene Tag für Denkmalpflege auf Anregung von Dehio beschloss, ein Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler zu veröffentlichen.
Der erste Band (Mitteldeutschland) lag 1905 vor, und in 7 Jahren erschienen weitere 4 Bände (Bd. 2 – Nordostdeutschland, Bd. 3 – Süddeutschland, Bd. 4 – Nordwestdeutschland). Das Werk entstand in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Gelehrten, es wurde vom „Tag der Denkmalpflege“ unterstützt und maßgeblich vom Kaiser finanziert. Dehio trat hier hauptsächlich als Herausgeber und Redakteur auf.
Das Konzept des Buches schildert Dehio im Vorwort zum ersten Band (Mitteldeutschland): „Die Inventare sind nicht fertig, noch ist ein reichliches Drittel des Gesamtgebiets unbearbeitet: sie sind durch ihren großen Umfang, schon jetzt 150 Bände, zu schneller Orientierung gänzlich ungeeignet; sie geben ohne Wertunterscheidung grundsätzlich alles, was irgend Denkmal heißen kann. Im Gegensatz dazu unternimmt das Handbuch eine Sichtung und Auswahl nach einheitlichem Maßstab: es berücksichtigt das ganze deutsche Kunstgebiet gleichmäßig; es drängt den Stoff in knappste Form zusammen, es will ein Nachschlagebuch für die Arbeit am Schreibtisch und zugleich ein bequemes Reisehandbuch sein, durch billigen Preis jedermann zugänglich. Diesen leitenden Gesichtspunkten wurden alle anderen, mögen sie auch an sich vielleicht sehr berechtigt sein, untergeordnet“.
Heute kann man es sich kaum vorstellen, aber es entstand ein Führer ohne Abbildungen, der mittels sachlich kurzer, historisch informierter und immer auch wertender Beschreibungen zur Wahrnehmung der Objekte an ihrem historischen Ort anleiten sollte. So schlicht die Texte dieses Handbuches sind, in diesem Werk ist die Arbeits- und Denkweise Dehios und seine Motivation vielleicht doch am besten zu verstehen. Das „Handbuch“ basiert auf Dehios prinzipieller Überzeugung, dass ein Werk der Kunst grundsätzlich zu seinem Verständnis der historischen Kontextualisierung bedarf, ja, dass es seine Funktion eigentlich nur erfüllt, wenn diese Beziehung fassbar bleibt. Diese Verbindung zur Geschichte ist es, die der Historiker der Kunst zu erläutern hat, wozu es natürlich nötig ist, den authentischen Bestand eines Objektes zu sichern und zu dokumentieren.
Der „Dehio“ (das „Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler“) erscheint seit 1929 im Deutschen Kunstverlag in größeren zeitlichen Abständen. Für die wissenschaftliche Fortführung des Handbuchs sorgt die Dehio-Vereinigung, für die Herausgabe – das Herausgebergremium, das sich aus der Dehio-Vereinigung, der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der BRD sowie der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz zusammensetzt.
Georg Dehio wird oft auch spiritus rektor des von ihm genanten Handbuches der deutschen Kunstdenkmäler genannt. Stimmt das in Wirklichkeit? Kann man überhaupt die neu bearbeiteten und stark erweiterten modernen Herausgaben des Handbuches mit dem Original vergleichen? Versuchen wir es.
Im Weiteren habe ich 3 Veröffentlichungen des Handbuches (von den Jahren 1900, 1949 und 1992) am Beispiele der Kunstdenkmäler der Stadt Braunschweig, einerseits, und die von BLIK (Braunschweiger Leit- und Informationssystem für Kultur) in der Web-Seite für Kultur und Tourismus der Stadt Braunschweig (www.braunschweig.de) aufgezählten Kulturdenkmäler, andererseits, verglichen.
Im Vordergrund standen folgende Fragen:
- Was heißt „neu bearbeiten“? Welche Tendenzen zeigen neubearbeitete Texte, welche neuen Inhalte bringen sie uns?
- Wie wurden neue Herausgaben des Handbuches erweitert? Welche neuen Objekte kamen hinzu? Welche Objekte aus dem Original wurden nicht übernommen?
- Wie hängt die Neubearbeitung und Erweiterung des Handbuchs mit den modernen Vorstellungen von Kulturdenkmälern zusammen? Stimmt im Wesentlichen die Liste der Kulturdenkmäler aus dem Handbuch mit den von BLIK für die Touristen vorbereiteten Informationen über kulturelle Sehenswürdigkeiten der Stadt?
Erforscht wurden einzelne Objekte aus den Handbüchern (1900, 1949 und 1992) sowie aus der Web-Seite der Stadt Braunschweig sowie aus 4 weiteren Quellen. Quelle 1 war „Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler“, 1912, Band V, Nordwestdeutschland, S. 57-70; Quelle 2 - „Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler“, 1949, Erster Band, Niedersachsen u. Westfalen, S.42-56 (neu bearbeitet); Quelle 3 - „Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler“, 1992, Bremen, Niedersachsen, S.251-292 (neu bearbeitet und stark erweitert); Quelle 4 - BLIK (Braunschweiger Leit- und Informationssystem für Kultur) www.braunschweig.de. Mit dem dicken Punkt wird das Vorhandensein des Denkmals in der Quelle bezeichnet, mit dem Strich – das Fehlen.
In der 1.Quelle sind rund 20 Einzelobjekte (sakrale Bauten und Schlösser) sowie einige Angaben zu den Wohnhäusern (Fachwerk- und Steinhäuser) in Braunschweig angegeben. In der neubearbeiteten Nachkriegsquelle 2 (1949) kamen kaum neue Objekte hinzu (nur 2: ehem. Kreuznonnenkloster sowie Residenzschloss); in der stark erweiterten Quelle 3 (1992) – kamen mehr als 30 Kunstdenkmäler hinzu, wovon die Seitenzahl spricht (in der 1. und 2. Quelle sind das 13 bzw. 14, in 3. Quelle fast das Vierfache – 42 Seiten). Die Zahl der von BLIK aufgelisteten Kulturdenkmäler in der Web-Seite der Stadt Braunschweig ähnelt der 3. Quelle, unterscheidet sich jedoch in der Wahl der Objekte grundsätzlich, was von den ganz anderen Herangehensweise an die Beschreibung der Antlitz der Stadt zeugt.
In dem vom G. Dehio herausgegebenen „Handbuch der Deutschen Denkmäler“ (1912) beginnt der Text nach dem Titelwort „Braunschweig“ mit der Aufzählung von Kirchen, in der 2. und 3.Quelle - mit den Angaben zu der geographischen Lage (Landschaft) sowie zur Geschichte der Stadt. Die Neubearbeitung der Originalausgabe in der 2. Quelle ist für Braunschweig sehr gering: sie beschränkt sich auf einige zum Teil veränderte Passagen (z.B. die Beschreibung des Gewölbes im Dom S. Blasius, S. 58 bzw. 43), sowie auf manche Hinzufügungen (z.B. die Beschreibung mehrerer Holz- und Steinepitaphe des 16. bis 18. Jh., die in der Originalausgabe fehlt).
Neubearbeitete und stark erweiterte Ausgabe von 1992 (Quelle 3) unterscheidet sich sehr vom Original sowohl im Text, als auch in der Gliederung des Materials. Für die meisten Sakralbauten sind neben der Beschreibung (wie bei Dehio) der architektonischen Formen auch Baugeschichte, Wandmalereien, Ausstattung u.ä. sehr ausführlich dargestellt. Texte sind anders formuliert, bei der Übernahme der Originalausdrücke wird auf Dehio hingewiesen. Wenn in der 1. sowie zum Teil in der 2. Quelle ziemlich viele Abkürzungen vorhanden sich, was das Verstehen für Laien erschwert und von dem ziemlich hohen wissenschaftlichen Niveau der Auslegung zeugt, so sind die Abkürzungen in der 3. Quelle auf die üblichen beschränkt. Die 1. und 2. Quellen sind ohne Abbildungen, in der modernen Ausgabe gibt es einen Plan der Stadtmitte von Braunschweig sowie Grundrisse einiger Sakralbauten und Schlösser.
Die Beschreibung der Kulturdenkmäler in der Web-Seite der Stadt Braunschweig unterscheidet sich grundsätzlich sowohl nach der Wahl der Objekte als auch nach dem Prinzip der Auslegung von dem „Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler“. Die Angaben sind sehr kurz und enthalten meistens nur das Baujahr sowie den Namen des Architekten und den architektonischen Stil. Die Wahl der Objekte ist dagegen sehr mannigfaltig. Diese Information ist in erster Linie für Touristen bestimmt, die die Stadt besuchen und möglichst viele Sehenswürdigkeiten sehen wollen. Die Auswahl der Objekte gibt eine Vorstellung nicht nur über die Architektur, sondern auch über die Geschichte der Stadt, die Einwohner, ihre Lebensweise, u.ä. BLIK hatte im Vergleich zu Dehio eine etwas andere Aufgabe: Wenn Dehio in erster Linie an die Inventarisierung der wichtigsten Denkmäler mit der wissenschaftlich begründeten Auslegung ihrer Bedeutung dachte, um damit seine Mitbürger sowie die nachkommenden Generationen zu begeistern, so handelt es sich bei BLIK über ein ganz konkretes kommerzielles Projekt: durch mannigfaltige und anschauliche Vorstellung der Stadtobjekte die Touristen anzulocken und ihre Neugier zu befriedigen.
Schlussfolgerungen
1. Um die Frage nach der Treue der Tradition (Dehio ist wohl genius rektor des von ihm genannten Handbuches) zu beantworten, haben wir einige Herausgaben des Werkes verglichen. Der allgemeine Eindruck nach dem quantitativen und besonders nach dem qualitativen Vergleich ist wie folgt: die Tradition in der modernen Ausgabe ist mehr äußerlich, als tatsächlich.
Erstens, bediente sich Dehio einer von ihm bevorzugten und zum Teil entwickelten Methode der wissenschaftlichen Forschung, die sein Schaffen nach 1900 prägte. Beeinflusst davon wurde auch das „Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler“. Die Beschreibung der architektonischen Objekte ist meistens sachlich und knapp, an anderen Stellen jedoch – mit emotionalen Wertungen. So z.B. liest man bei der Beschreibung des Domes S. Blasius (S. 58) solche Wendungen, wie „…Dieser Vorgang ist geschichtlich bedeutsam…, …verbindet sich als fortschrittliches Element…, …erhebliche Mächtigkeit der Hochmauern…, …ein Element der Unruhe…“ u.ä., um das Gewölbe des Domes als erster in der Kunstgeschichte Niedersachsens einheitlich durchgeführter Bau zu rühmen. Dehio setzt Akzente, macht auf seinen Handbuch-Reisen Entdeckungen (wie z.B. 1912- glaubte er den Ulmer Meister im Kölner Dom wiedergefunden zu haben), setzt sich mit den Fragen des Einflusses bzw. des Verhältnisses zwischen architektonischen Stilen auseinander. Zu seiner Zeit war er einer der prominentesten Kunsthistoriker, wovon auch die Tatsache zeugt, dass er einstimmig vom Tag der Denkmalpflege 1900 mit der Herausgabe des „Handbuches der Deutschen Kunstdenkmäler“ beauftragt wurde. Dennoch entwickelt sich die Wissenschaft ständig, es kommen neue Entdeckungen hinzu, einige alten Vorstellungen werden unter der Frage gestellt und neu interpretiert. Trotz aller Verdienste war er zu seiner Zeit ziemlich umstritten: Es ist ihm doch nicht gelungen, durch die von ihm angewandte Methode, aus der Geschichte die Kunstentwicklung zu erklären, eine Methode der Kunstforschung zu schaffen. Die Geschichte der Menschheit lässt sich schwer (wenn überhaupt) auf die Geschichte der Kunst projizieren. Es ist also an der Zeit, neue Zusammenhänge zwischen den beiden zu suchen, die dem heutigen Stand der Entwicklung der Wissenschaft und unserer Vorstellungen über die Architektur und Kunst entsprechen.
Zweitens fällt auf, dass bei Dehio Sakralbauten und Schlösser als die wichtigsten Kulturdenkmäler im Vordergrund standen. Es wurde auf städtische, öffentliche, Hochheitsbauten, sowie Bauten für Handel und Wirtschaft, Denkmäler, Brunnen, Landschaftsarchitektur u.ä. verzichtet, obwohl diese Bauten nicht weniger als die prächtigen Schlösser oder Sakralbauten das Stadtbild prägen. Diese Lücke versuchte man in der modernen Dehio-Ausgabe schließen.
Drittens, konnte Dehio auf seinen wissenschaftlichen Stil nicht verzichten, obwohl das „Handbuch“ nicht nur für Wissenschaftler und hochgebildete Leute, sondern für jedermann gedacht wurde. Auch dieser „Nachteil“ wurde in der modernen Herausgabe durch etwas lockere und freizügige Beschreibung behoben.
2. In seinem Werk hat Dehio versucht, die Grundlage für ein wissenschaftliches System zu schaffen. In diesem System sollten verschiedene Baulösungen, Bautypen und deren Elemente, sowie Traditionen und die Entwicklung der Baustile verallgemeinert werden. Nach seiner Überzeugung ist jeder Bau eine Verkörperung der kulturhistorischen Traditionen, die den Geist des Lebens der Menschen (ihre Bedürfnisse, Bestrebungen, Möglichkeiten) von einer bestimmten Zeit widerspiegeln. Dennoch ist die Entwicklung der architektonischen Formen durch Konstruktionselemente beschränkt, die nur schwer zu verbessern (oder zu ändern) sind. Die von Dehio beschriebenen kulturhistorischen Denkmäler weisen somit sehr wenig regionale Besonderheiten und kaum Gesetzmäßigkeiten auf, um die Theorie von Dehio zu stützen. Das „Handbuch der Deutschen Denkmäler“ ist ein Muster des wissenschaftlichen Herangehens an das Problem der Kunstentwicklung in damaliger Zeit.
3. In welchem Zusammenhang stehen die Ideen Dehios mit den modernen Vorstellungen über Kunstdenkmäler? Den großen Einfluss des Gelehrten auf die Entwicklung der Kunstgeschichte ist kaum zu übersehen. Er hat in seinem Schaffen die „goldene Ader“ gefunden – den Zugriff an kulturhistorische Tradition in der Erforschung der Kunstdenkmäler. Was aber die architektonischen Denkmäler angeht, so hat Dehio, aus meiner Sicht, eine zu schwere Aufgabe vor sich gestellt, die nicht immer eindeutig gelöst werden kann. Aus der heutigen Sicht scheint ganz klar zu sein, dass die kulturhistorischen Traditionen keine Grundlage des architektonischen Stils sein können. Die Grundlage des architektonischen Stils bilden doch Elemente der Bauten, die in ihrem Zusammenspiel einen bestimmten Eindruck von dem ganzem Komplex hinterlassen. Warum diese oder jene Elemente ausgewählt werden, ist Gegenstand der Erforschung, für die Dehio vergeblich eine Methode zu schaffen versuchte. Das Schaffen Dehio hilft die Kunstdenkmäler zu verstehen. Die Bauten zu verstehen – ihre Baugeschichte zu erfahren, die architektonischen Besonderheiten zu begreifen sowie ihre Bedeutung für die Menschen bestimmter Region – bedeutet, diese Menschen zu verstehen. Und drauf kam es dem Gelehrten an.
Veröffentlicht in: Gavrysh Olessia, Georg Dehio - Spiritus Rektor der modernen Denkmalpflege // Çá³ðíèê äîïîâ³äåé ì³æíàðîäíî¿ íàóêîâî-ïðàêòè÷íî¿ êîíôåðåíö³¿ "Ñèñòåìè ñóõîãî áóä³âíèöòâà: âïðîâàäæåííÿ ñó÷àñíèõ òåõíîëîã³é â íàâ÷àëüíèé ïðîöåñ". Ê.: ÊÍÓÁÀ, 2011. - Ñ. 189 - 201.
VARIABILITÄT DER SYNTAKTISCHEN KONSTRUKTIONEN MIT DEN VERBEN DER INTENTIONALEN EINWIRKUNG
Die Variabilität der syntaktischen Konstruktionen hat ihre Spezifik, die mit dem Verhältnis Invariante (das Allgemeine) – Varianten (das Konkrete) zusammenhängt. Unterschiedliche formale Ausprägung der Proposition in den Konstruktionen mit prädikativen Aktanten (KPA) im Deutschen (z.B. einzelnes Wort, eine Infinitivgruppe oder ein Nebensatz) kann als syntaktische Variabilität betrachtet werden, weil es in solchen Konstruktionen eine semantische Invariante festzustellen ist, die nach folgenden Kriterien bestimmt wird: Identität der denotativen Semantik; Identität des semantischen Modells (Verb und Prädikativer Aktant); Identität der syntaktischen Bedeutung (zwei strukturelle Propositionen); Identität der lexischen Zusammensetzung der Konstruktionen (sowohl auf dem Gebiet der individuellen (lexischen), als auch subkategoriellen Bedeutung) Ersetzbarkeit verschiedener Strukturtypen der prädikativen Aktanten.
Die drei strukturelle Typen der prädikativen Aktanten – ein Nebensatz, z.B.: Er empfahl mir, dass ich mich gründlich vorbereiten möchte; ein Infinitiv (oder eine Infinitivkonstruktion), z.B.: Er empfahl mir, mich gründlich vorzubereiten; oder ein Substantiv (nominale Wortverbindung), z.B.: Er empfahl mir eine gründliche Vorbereitung – kommen nicht bei allen Verben vor, die die KPA bilden. Es ist anzunehmen, dass die lexische Semantik des Verbes die Struktur des Satzes bestimmt, und umgekehrt – die Syntax kann die aktuelle Bedeutung des Verbes bedingen.
Von der Semantik her ist die Gruppe der Verben, die die KPA bilden, sehr unterschiedlich. Das sind vor allem die intensionalen Verben, die mentale Prozesse beschreiben, die Verben des Denkens und der Meinungsäußerung, die Verben des Sagens, der Mitteilung, der kognitiven (propositionalen) Einstellung, der Willensäußerung, die Verben der sinnlichen Wahrnehmung u.a. Die Frage nach der Variabilität kann gesondert in Bezug auf KPA betrachtet werden, die durch die Verben verschiedener semantischer Gruppen gebildet werden, denn von der Semantik dieser Verben hängen doch quantitative (Anzahl der Varianten) und qualitative (strukturelle Ausprägung) Merkmale der Variabilität. Als Objekt unserer Untersuchung treten KPA mit den Verben der intentionalen Einwirkung auf.
Die Gruppe der Verben der intentionalen Einwirkung wurde nach dem Merkmal des Vorhandenseins von drei integrierten Semen ausgegliedert: das Semem der Intentionalität, das Semem der Einwirkung, das die einseitige Gerichtetheit auf den Adressaten bezeichnet, und das Semem der Agentivität (das Vorhandensein des Sprechers). Den Begriff „Intentionalität“ verwenden wir in der für die moderne Sprachwissenschaft üblichen Bedeutung der Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel, der sich auf solche Termini wie Kommunikationsziel und illokutive Kraft bezieht. Solche Verwendung dieses Begriffs ist in der Klassifikation der illokutiven Akte nach Searle zu beobachten. Nicht zu verwechseln ist aber der pragmatische Begriff der Intentionalität mit dem Terminus „Intension“, das in der Logik für die Denotation der mentalen Akte verwendet wird.
Auf Grundlage der oben genannten semantischen Merkmale gehören zu der Gruppe der Verben der intentionalen Einwirkung die Verben des Sagens (z.B. sagen, sprechen, …), der Mitteilung (z.B. mitteilen, informieren, berichten, …), der Überzeugung (z.B. argumentieren, beweisen, belegen, …), der Veranlassung (z.B. bitten, befehlen, auftragen, …), der Beurteilung (z.B. billigen, vorwerfen, …), der Verpflichtung (z.B. versprechen, schwören, …) und andere. Wie man sieht, ist diese Gruppe sehr heterogen. Das eine oder das andere Verb gehört aber zu der Gruppe nicht mit vollem semantischem Volumen, sondern nur mit dem Teil seiner Semantik, der die drei oben genannten Komponenten der Bedeutung einschließt. Z.B. die Tesaurusmerkmale des Verbs aufgeben enthalten einige lexisch-semantische Varianten: 1) einliefern; 2) Aufgaben stellen; 3)verzichten. Bei der Untersuchung der Variabilität von KPA wurden folglich nur Prädikate erfasst, die durch das Verb aufgeben in seiner zweiten lexisch-semantischen Variante Aufgaben stellen ausgedrückt sind. Aus diesem Grunde wurde die weitere Klassifikation der Verben der intentionalen Einwirkung nicht nach Tesaurus- sondern nach anderen Merkmalen unternommen.
Die Klassifikation der Verben der intentionalen Einwirkung schließt drei Stufen ein. Die erste Stufe differenziert die Verben nach ihren kommentierenden Merkmalen. Wie bekannt, beziehen sich die Verben der intentionalen Einwirkung mindestens auf zwei Situationen der objektiven Realität – primäre und sekundäre. Primäre denotative Situation (der Inhalt der Rede) wird von der redenden Person durch das Prädikat mit KPA fixiert oder eingeschätzt. Diese Fixierung oder Einschätzung stellt die sekundäre denotative Situation dar, die vier semantische Komponente enthält: den Akt der Rede (das Semem der Intentionalität), das Vorhandensein des Sprechers (das Semem der Agentivität), das Vorhandensein des Adressaten (das Semem der Gerichtetheit) und die Fixierung bzw. die Einschätzung des Objektes der Mitteilung (das kommentierende Semem). Das kommentierende Merkmal kann also variabel sein, deshalb unterscheiden wir deskriptive (fixierende) und einschätzende Verben.Weitere Differenzierung sowohl der neutralen (deskriptiven) als auch der einschätzenden Denotation der primären kommunikativen Situation erfolgt nach pragmatischen Merkmalen, und zwar nach dem kommunikativen Ziel. Bei den deskriptiven Prädikaten unterscheiden wir Verben der Informationsübergabe sowie Verben der Informationssuche. Die einschätzenden Prädikate werden in preskriptive (anweisende) und beurteilende unterteilt. Die preskriptiven Verben stellen eine Situation als Resultat der Einwirkung einer Person auf die andere vor, die beurteilenden Verben geben dagegen subjektive (positive oder negative) sowie objektive Einschätzung der kommunikativen Situation. Die dritte Stufe der Klassifikation ist mit der Bestimmung der Kontexte verbunden, die die pragmatische Semantik des Verbes beeinflussen. Dabei gehen wir auf die relevanten in dieser Hinsicht Typen der syntaktischen Bedeutung zurück, und zwar sogenannte ereignis- und tatsachenbildende Semantik, die mit zwei strukturellen Typen von KPA korrelieren – Substantiv (volle Nominalisierung) und Nebensatz (unvolle Nominalisierung). Im Resultat der Klassifikation entstanden 9 Gruppen der Verben der intentionalen Einwirkung, die nach kommentierenden, pragmatischen und konzeptuell-semantischen Merkmalen differenziert wurden. Unterschiedliche Konfiguration dieser Merkmale bestimmt die Möglichkeiten formaler Ausprägung der KPA mit den Verben der intentionalen Einwirkung.
Die Variabilität der syntaktischen Strukturen kann aus unterschiedlichen Gesichtspunkten untersucht werden: Norm, Stilistik, Semantik, Synchronie/ Diachronie usw. Diese Aspekte sind eng miteinander verbunden, deshalb ist solche Teilung nur bedingt möglich. Unser Hauptinteresse ist auf dem semantischen Aspekt konzentriert, und zwar auf der Untersuchung des Zusammenspiels der Lexik und der Grammatik als Grundlage der Variabilität auf der syntaktischen Ebene in der Synchronie.
Die quantitativen und qualitativen Parameter der Variabilität der Verben der intentionalen Einwirkung hängen von den semantischen Merkmalen ab, die als Grundlage ihrer Klassifikation gelten. Die Unterschiede in den quantitativen Parameter sind insbesondere bei den Verben der Informationsübergabe zu beobachten. Fast die Hälfte dieser Verben verbindet sich nur mit einem der strukturellen Typen der KPA – mit dem Substantiv, die andere Hälfte aber – sowohl mit dem Substantiv, als auch mit dem Nebensatz. Ähnliche quantitative Parameter gelten auch für die Gruppe der beurteilenden Prädikate, obwohl die Anzahl der Verben, die sich nur mit dem Substantiv verbinden, viel geringer ist. Daraus ist ersichtlich, dass es eine Menge Verben (vor allem – der Übergabe der Information) existiert, die die KPA ohne alternative Varianten bilden, d.h. unvariabel sind. Andererseits besitzen ein viel größeres Potential der Variabilität die preskriptiven Verben: die meisten davon haben alle drei Varianten der KPA (Substantiv, Infinitiv und Nebensatz) und ein Drittel – zwei Varianten (Substantiv/ Infinitiv oder Nebensatz/ Infinitiv).
Die qualitativen Parameter der Variabilität sind mit der Frage nach strukturell – semantischen Eigenschaften der prädikativen Aktanten verbunden. Wie bekannt, ist die neutrale oder einschätzende Fixierung der primären denotativen Situation mit ereignis- oder tatsachenbildender Bedeutung verbunden. Es ist jedoch oft etwas schwierig, die semantischen Unterschiede zwischen KPA festzustellen, weil Ereignisse und Tatsachen metasprachliche Klassifikationsmerkmale mit sehr verschwommenen Grenzen sind. Besonders schwierig erscheint die Interpretation des Infinitivs in der Rolle der KPA. Um die konzeptuelle Bedeutung des Infinitivs festzustellen, soll man die Art der Nominalisierung, d.h. seinen Wortartstatus bestimmen. Wir schließen uns an Tesniére an, der auf die Zwischenlage des Infinitivs bei den Kategorien Verb und Substantiv hinwies. Diese Besonderheit des Infinitivs spiegelt sich im Prozess der Nominalisierung in seiner Fähigkeit wider, in einigen Fällen die ereignisbildende Bedeutung auszudrücken, z.B.: Er hat mir aufgetragen, dich zu grüßen, in anderen – die tatsachenbildende, z. B.: Er behauptete, mich gesehen zu haben. Folglich ist die Kombinierbarkeit der Verben mit dem Infinitiv nicht durch ihre konzeptuelle Semantik, sondern durch andere Gründe verursacht. Eine der Ursachen besteht darin, dass die Verben mit dem Semem der Willensäußerung ein Infinitiv einführen. Diese Fähigkeit kann somit als Merkmal der Einschätzung (im weiteren Sinne – der Veranlassung, der Absicht usw.) der Semantik des Prädikats betrachtet werden.
Außerdem ist zu bemerken, dass nicht alle unvollen Nominalisierungen (Nebensätze) mit tatsachenbildender Bedeutung korrelieren. Das sind Nebensätze mir Pronomen auf w-Form als Bindewort (z.B. wie, was usw.). Diese Pronomen schließen im Gegenteil z.B. zur Konjunktion dass (tatsachenbildende Bedeutung) Nebensätze mit ereignisbildender Semantik an, die den Inhalt der Prozesse und Ereignisse der objektiven Realität widerspiegeln und, somit, aus der unvollen in eine volle Nominalisierung transferiert werden können, z.B.: Erzähle, was du erlebt hast – Erzähle über deine Erlebnisse.
Die Analyse der strukturell-semantischen Eigenschaften der prädikativen Aktanten sowie der distributiven Charakteristika der Verben der intentionalen Einwirkung hat ergeben, dass die von uns nach kommentierenden,pragmatischen und konzeptuellen Merkmalen ausgegliederten Gruppen der Verben in Hinsicht auf qualitative Parameter der Variabilität keine tiefgreifenden Unterschiede aufweisen. Die Mehrheit aller Verben kann sowohl ereignis- als auch tatsachenbildende Bedeutung ausdrücken, d.h. KPA sowohl mit einem Substantiv als auch mit einem Nebensatz bilden. Es sind jedoch folgende Besonderheiten festzustellen:
- präskriptive Verben, die das Semem der Willensäußerung besitzen, bedürfen eines Infinitivs und drücken ereignisbildende Bedeutung aus, die den Akt der Rede als eine Tat charakterisiert (volle Nominalisierung); die Kombinierbarkeit mit dem Nebensatz soll als sekundäre und nicht typische Funktion betrachtet werden;
- bei den beurteilenden und deskriptiven Prädikaten hängt die ausgedrückte konzeptuelle Semantik vom kommunikativen Wert der abhängigen Proposition und von pragmatischen Merkmalen des Verbs ab; beurteilende Prädikate betonen den Akt der Rede selbst (Kombinierbarkeit mit Substantiv) infolge ihrer stark ausgeprägten pragmatischen Funktion, deskriptive – können sowohl den Akt der Rede als auch den Inhalt in Abhängigkeit davon betonen, ob es sich über das Thema der Mitteilung oder über die Mitteilung selber handelt;
- infolge der für die beurteilenden Prädikate immanenten pragmatischen Eigenschaften können sie veranlassende Konnotationen erwerben (Kombinierbarkeit mit Infinitiv); deskriptive Prädikate besitzen diese Eigenschaft dagegen nicht.

Prasentation







